Leda mit dem Schwan

Leda mit dem Schwan

Neulich begegnete mir auf Twitter ein Bild der Leda mit dem Schwan in einer Version des irischen Künstlers Dr. Robert Bohan. Die Bildsprache dieses Künstlers lebt von kräftig-leuchtenden Farbflächen, schematischer Reduktion der Figuren und zweidimensional-grafischer Ästhetik. Robert Bohan hat seinen Doktortitel in den Naturwissenschaften erworben und seine Interessenschwerpunkte wohl im Bereich der Botanik gefunden – dies scheint seinen Bildern anzusehen. Immer wieder schwanken seine Arbeiten zwischen naturwissenschaftlicher Akkuratesse und traumdeuterischer Seelenerkundung.
Leda mit dem Schwan ist ein bekanntes und oft gesehenes Motiv in der Kunstgeschichte und geht auf einen griechischen Mythos zurück. Auch ich zähle zwei Versionen dieses Motivs zu meinen Lieblingsbildern bzw. unter jene Bilder, die mir besonders im Gedächtnis haften geblieben sind. Es handelt sich dabei um ein Gemälde von Giampietrino nach Entwürfen von Leonardo da Vinci und ein Gemälde von Antonio Allegri (genannt Il Correggio). Dazu später mehr.
Die Leda mit dem Schwan von Robert Bohan ist ganz in blau gehalten und strahlt eine große Ruhe und liebevolle Zuwendung aus. Sie führte mir den Facettenreichtum des Motivs und den großen interpretatorischen Spielraum vor Augen, den ein Künstler bei der Behandlung dieses Themas hat. Robert Bohan zeigt Leda und Zeus in Gestalt des Schwanes als Liebespaar innig verschmolzen, zugewandt, zärtlich ohne dabei aber eigentlich geschlechtlich oder sexuell zu erscheinen.
Ganz anders die Darstellung Correggios, die heute in der Gemäldegalerie in Berlin bewundert werden kann. Diese Version ist (wie die allermeisten Versionen des Motives, die ich kenne) hoch erotisch. Leda und Schwan sind hier zwischen einer Gruppe Badender, Schwäne, dem musizierenden Eros und zwei Putten während des Geschlechtsaktes dargestellt. Das Bild war ursprünglich Teil eines Zyklus, der die erotischen Abenteuer Zeus zum Inhalt hatte und um 1530 von Federico II. Gonzaga, dem Herzog von Mantua in Auftrag gegeben worden war. Die Darstellung ist explizit und lässt keinen Spielraum für Interpretationen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert wurde sie deshalb einmal zerstört. Damals befand sich das Bild im Besitz des Herzogs Philippe von Orléans, dessen Sohn es in einem „Anfall religiösen Wahns“ zerschnitt.

Leda mit dem Schwan. Antonio Allegri (Il Correggio), um 1531/32. Gemäldegalerie Berlin.

Andere bekannte Darstellungen der Leda mit dem Schwan gehen auf (inzwischen verlorene) Vorbilder von Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci zurück. Zu diesen gehört auch das Bild von Giampietrino. Es ist wiederum ganz anders geartet als die beiden zuvor besprochenen Kunstwerke. Hier ist Zeus in Gestalt des Schwans gar nicht mehr dargestellt. Stattdessen lädt die Figur der Leda mit ihrem dem Betrachter zugewandten Blick und der offenen auf zwei Kinder weisenden Hand ein, den Nachwuchs aus der Begegnung mit dem Gott zu bestaunen. Insgesammt sind es, wie im Mythos beschrieben, vier Kinder, die aus Eiern geschlüpft sind. Die Schalen liegen noch auf dem Boden verteilt.

Leda mit ihren Kindern. Giampietrino, um 1508-1513. Gemäldegalerie Alte Meister Kassel.

Ich persönlich mag dieses Bild, wie auch andere Darstellungen nach Leonardos Entwürfen, die neben Leda und den Kindern auch noch den Schwan beinhalten, sehr. Mir gefällt die unaufgeregte und friedvolle Zuneigung zwischen der Mutter und ihren Kindern. Mehr noch fasziniert mich aber die Überschreitung und Durchbrechung von Denkmustern und Sehgewohnheiten, welche die aus den Eiern schlüpfenden Kinder bedeuten. Dieses Detail ist ein Kuriosum, das – obwohl im Mythos beschrieben – nicht allzu oft dargestellt wird. Außerdem ist es noch etwas komplexer, denn Leda schlief in der fraglichen Nacht auch noch mit ihrem Gatten, dem König Tyndareos. Welche der vier entstandenen Kinder die Nachkommen Zeus sind und welche von Tyndareos stammen sowie ob sie nun alle aus Eiern geschlüpft oder eines geboren wurde, wird unterschiedlich angegeben. Eine zweifelsohne spannende Konstellation.

 

Literaturhinweise:

Michaelis, Rainer [Redaktion]: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Berlin 2010, bes. S. 374, 375.

Zöllner, Frank; Nathan, Johannes: Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen. Köln 2007, bes. S. 184-191.

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