Dürfen wir vorstellen? Jesko Donst

Dürfen wir vorstellen? Jesko Donst

Es macht mir besondere Freude, heute einen neuen großartigen Künstler in den Kreisen des Eichhörnchenverlags vorzustellen. Im Sommer des letzten Jahres hatte ich das Vergnügen den Künstler Jesko Donst bei einer Ausstellung, die ich mitgestalten durfte, persönlich kennenzulernen. Der untenstehende Text entspricht im Wesentlichen meiner damals gehaltenen Eröffnungsrede, hat seither jedoch nichts an Bedeutung und Richtigkeit verloren.
Während wir in Vorbereitung der Ausstellung gemeinsam die Bilder hängten und besprachen, ist mir sehr deutlich geworden, dass in jedem einzelnen von ihnen ein immenses Maß an stiller, ehrlich interessierter Beobachtung sowie Achtung und emotionaler Anteilnahme steckt, welche Jesko Donst einem jeden Lebewesen zuteil werden lässt. Das war sehr beeindruckend. Dass ich mit ihm ein Bilderbuch machen wollte, stand zu diesem Zeitpunkt jedoch ohnehin schon außer Frage und ich freue mich, dass er sich dieser Aufgabe gern angenommen hat!
Das Bilderbuch erscheint voraussichtlich im Jahr 2019 und wird sich mit einigen bei uns heimischen Vögeln und anderen Lebewesen beschäftigen, soviel sei verraten. Details zum Buch folgen in den nächsten Wochen!

 

Jesko Donst ließ sich in Meißen und Berlin zum Porzellanmaler ausbilden. Hierin findet sich eine technische Wurzel, die sich in seiner Methode, aber auch in der Wahl und Behandlung seiner Motive widerspiegelt. Seine Arbeiten sind geprägt von einem hohen Grad an technischer Präzision und Perfektion. Mit haarfeinen Pinseln und zeitaufwändigen, hauchdünnen Lasuren schafft er Bilder, die alle Details ihrer Vorbilder wiederzugeben scheinen.

Eine bildhistorische Referenz kann in der niederländischen Stilllebenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts, besonders Wald- und Blumenstillebenmalerei, gefunden werden.
Die Niederlande wurden im 17. Jahrhundert zu einer der wichtigsten See- und Wirtschaftsmächte und oft genug dienten die Stillleben dieser Zeit dazu, den neugewonnen Reichtum, die aus allen Teilen der Welt – zum Beispiel in Form von Tulpenzwiebeln – herbeigebrachte Pracht zur Schau zu stellen. In gewissem Maße finde ich diese Gedanken auch in den Bildern Jesko Donsts.

Seine Lust am Schauen, an der Fülle und Schönheit der Natur ist seinen Bildern leicht anzusehen, jedoch wenn wir genauer hinsehen, sind es seltener die Exotika, die er uns vorführt. Vielmehr demonstriert er uns die Schönheit unserer uns alltäglich umgebenden Fauna und Flora.

“Pirol” von Jesko Donst. Acryllasur, 2011. Privatbesitz. (c) Jesko Donst.

Auf dem hier gezeigten Bild („Pirol“ 2011, Acryllasur) beispielsweise, sehen wir einen Pirol mit einer Kirsche am Schnabel, der auf einem Granatapfel steht. Der Granatapfel ist eine exotische Frucht und mit vielen historischen und symbolischen Konnotationen, insbesondere Fruchtbarkeits-, aber auch Frömmigkeitsreferenzen verknüpft. In diesem Bild aber ist die Schnecke viel interessanter, welche ihn sich erobert. Sie ist eine gewöhnliche Bänderschnecke, wie wir sie in unseren Gärten finden können. In der Art, wie sie hier als Eroberin des Granatapfels ins Bild gesetzt ist, können wir ihr aber eine viel größere Bedeutung als der Frucht beimessen, wie sie ja auch in unserem alltäglichen Umwelterleben tatsächlich eine viel größere Bedeutung innehat.

Die Bilder Jesko Donsts haben auch eine wichtige erinnernde und moralisch appellierende Funktion. Viele der gezeigten Vögel und anderen Tiere sind in Notsituationen. Seien es ganz konkrete persönliche Notsituationen oder sei es die Not, in welche ihre ganze gefährdete oder bedrohte, vielleicht schon ausgestorbene, Art geraten ist. Immer wieder tauchen manche bedrohten und fast schon ganz verschwundenen Arten in seinen Bildern auf, so wie die Großtrappe zum Beispiel. Wehmut, Mahnung und Traurigkeit schwingen in diesen Bildern mit.

Es sind aber nicht nur Tiere, von denen diese Bilder sprechen. Sie sprechen auch von den Menschen, von uns Betrachtern, von dem Künstler selbst, als Liebhabern und Bewunderern dieser natürlichen Schönheit und Vielfalt und auch von uns Menschen als den Zerstörern derselben.

Zum Abschluss möchte ich noch aus einem Kinderbuch zitieren, welches viele kennen und schätzen werden, denn eines ist mir noch aufgefallen, als ich einmal das Vergnügen hatte, bei einer Ausstellung Jesko Donsts mitzuwirken: Zu jedem Bild, zu jedem Vogel, jeder Feder gibt es ein konkretes Vorbild, ein Gesicht, eine besondere Geschichte. Jesko Donst hat alle seine Motive gezähmt.

 

»„Wer bist du?“ sagte der kleine Prinz. „Du bist sehr hübsch …“
„Ich bin ein Fuchs“, sagte der Fuchs.
„Komm und spiel mit mir“, schlug ihm der kleine Prinz vor. „Ich bin so traurig …“
„Ich kann nicht mit dir spielen“, sagte der Fuchs. „Ich bin noch nicht gezähmt!“
„Ah, Verzeihung!“ sagte der kleine Prinz.
Aber nach einiger Überlegung fügte er hinzu:
„Was bedeutet das: ‘zähmen’?“
[…]
„Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs.
„Es bedeutet: sich ‘vertraut machen’.“
„Vertraut machen?“
„Gewiß“, sagte der Fuchs. „Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt …“«

Antoine de Saint-Exupéry in „Der kleine Prinz“

Neulich begegnete mir auf Twitter ein Bild der Leda mit dem Schwan in einer Version des irischen Künstlers Dr. Robert Bohan. Die Bildsprache dieses Künstlers lebt von kräftig-leuchtenden Farbflächen, schematischer Reduktion der Figuren und zweidimensional-grafischer Ästhetik. Robert Bohan hat seinen Doktortitel in den Naturwissenschaften erworben und seine Interessenschwerpunkte wohl im Bereich der Botanik gefunden – dies scheint seinen Bildern anzusehen. Immer wieder schwanken seine Arbeiten zwischen naturwissenschaftlicher Akkuratesse und traumdeuterischer Seelenerkundung.
Leda mit dem Schwan ist ein bekanntes und oft gesehenes Motiv in der Kunstgeschichte und geht auf einen griechischen Mythos zurück. Auch ich zähle zwei Versionen dieses Motivs zu meinen Lieblingsbildern bzw. unter jene Bilder, die mir besonders im Gedächtnis haften geblieben sind. Es handelt sich dabei um ein Gemälde von Giampietrino nach Entwürfen von Leonardo da Vinci und ein Gemälde von Antonio Allegri (genannt Il Correggio). Dazu später mehr.
Die Leda mit dem Schwan von Robert Bohan ist ganz in blau gehalten und strahlt eine große Ruhe und liebevolle Zuwendung aus. Sie führte mir den Facettenreichtum des Motivs und den großen interpretatorischen Spielraum vor Augen, den ein Künstler bei der Behandlung dieses Themas hat. Robert Bohan zeigt Leda und Zeus in Gestalt des Schwanes als Liebespaar innig verschmolzen, zugewandt, zärtlich ohne dabei aber eigentlich geschlechtlich oder sexuell zu erscheinen.
Ganz anders die Darstellung Correggios, die heute in der Gemäldegalerie in Berlin bewundert werden kann. Diese Version ist (wie die allermeisten Versionen des Motives, die ich kenne) hoch erotisch. Leda und Schwan sind hier zwischen einer Gruppe Badender, Schwäne, dem musizierenden Eros und zwei Putten während des Geschlechtsaktes dargestellt. Das Bild war ursprünglich Teil eines Zyklus, der die erotischen Abenteuer Zeus zum Inhalt hatte und um 1530 von Federico II. Gonzaga, dem Herzog von Mantua in Auftrag gegeben worden war. Die Darstellung ist explizit und lässt keinen Spielraum für Interpretationen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert wurde sie deshalb einmal zerstört. Damals befand sich das Bild im Besitz des Herzogs Philippe von Orléans, dessen Sohn es in einem „Anfall religiösen Wahns“ zerschnitt.

Leda mit dem Schwan. Antonio Allegri (Il Correggio), um 1531/32. Gemäldegalerie Berlin.

Andere bekannte Darstellungen der Leda mit dem Schwan gehen auf (inzwischen verlorene) Vorbilder von Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci zurück. Zu diesen gehört auch das Bild von Giampietrino. Es ist wiederum ganz anders geartet als die beiden zuvor besprochenen Kunstwerke. Hier ist Zeus in Gestalt des Schwans gar nicht mehr dargestellt. Stattdessen lädt die Figur der Leda mit ihrem dem Betrachter zugewandten Blick und der offenen auf zwei Kinder weisenden Hand ein, den Nachwuchs aus der Begegnung mit dem Gott zu bestaunen. Insgesammt sind es, wie im Mythos beschrieben, vier Kinder, die aus Eiern geschlüpft sind. Die Schalen liegen noch auf dem Boden verteilt.

Leda mit ihren Kindern. Giampietrino, um 1508-1513. Gemäldegalerie Alte Meister Kassel.

Ich persönlich mag dieses Bild, wie auch andere Darstellungen nach Leonardos Entwürfen, die neben Leda und den Kindern auch noch den Schwan beinhalten, sehr. Mir gefällt die unaufgeregte und friedvolle Zuneigung zwischen der Mutter und ihren Kindern. Mehr noch fasziniert mich aber die Überschreitung und Durchbrechung von Denkmustern und Sehgewohnheiten, welche die aus den Eiern schlüpfenden Kinder bedeuten. Dieses Detail ist ein Kuriosum, das – obwohl im Mythos beschrieben – nicht allzu oft dargestellt wird. Außerdem ist es noch etwas komplexer, denn Leda schlief in der fraglichen Nacht auch noch mit ihrem Gatten, dem König Tyndareos. Welche der vier entstandenen Kinder die Nachkommen Zeus sind und welche von Tyndareos stammen sowie ob sie nun alle aus Eiern geschlüpft oder eines geboren wurde, wird unterschiedlich angegeben. Eine zweifelsohne spannende Konstellation.

 

Literaturhinweise:

Michaelis, Rainer [Redaktion]: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Berlin 2010, bes. S. 374, 375.

Zöllner, Frank; Nathan, Johannes: Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen. Köln 2007, bes. S. 184-191.

Kunst ist Sprache und gute Bilder sprechen deutlicher – auch zu Kindern!
Bildende Kunst ist Kommunikation, die visuell, manchmal auch taktil erfahrbar ist und mittels Farben, Formen, Materialien und Strukturen, Inhalte aufnimmt und vermittelt. Oft gelingt es dabei Werken der bildenden Kunst, ihre Betrachter emotional zu erreichen, wo Worte nicht weiter kämen. Gleichzeitig ist das Bild unverzichtbarer Übermittler rationaler Informationen, wie in zahlreichen Anleitungen und Lehrbücher nachvollzogen werden kann, die ohne Bilder oft vollkommen unverständlich wären.
Erreichen selbständige Kunstwerke auch Kinder in besonderer Weise? Ja. Als meine Tochter gerade ein Jahr alt war, nahm ich sie zum ersten Mal in eine Ausstellung mit. Es war die Schau Sprachspiel → ZEICHnung mit Susanne Haun. Da Susanne Haun in der Regel gegenständlich zeichnet, hatte ich gehofft, meiner Tochter einige Tiere zeigen und sie so bei der Stange halten zu können. Nicht erwartet hatte ich, das anhaltende Interesse, welches sie an der Ausstellung entwickelte. Immer wieder verlangte sie in den folgenden Wochen, mit mir in die Ausstellung zu gehen, die Bilder zu betrachten und darüber zu sprechen. Ein Lieblingsbild hatte sie auch bald gefunden. Es zeigt einen Schneegeier mit geöffneten Schwingen, den meine Tochter als Papagei las und immer wieder besuchen wollte.

Schneegeier – Zeichnung von Susanne Haun – 24 x 32 cm – Tusche auf Bütten (c) Susanne Haun.

Ein Jahr darauf waren wir wieder in einer Ausstellung, diesmal in der sehr vielfältigen Gruppenausstellung RaumZeitBegegnung – Geben. Nehmen. Wachsen. Die Exponate kamen von Künstlern und Laien, waren mal abstrakt, mal gegenständlich, bunt oder monochrom. In drei und zwei Dimensionen waren unterschiedlichste künstlerische Techniken zu bestaunen. Auch in dieser Ausstellung waren wir mehrmals – manchmal allein, manchmal in Begleitung. Auch hier fand meine Tochter bald ihr Lieblingsbild. Interessanterweise war es keines der vermeintlich kinderaffinen Bilder mit Tieren u. Ä., sondern eines des komplexesten, wichtigsten und auch besonders deutungsbedürftigen Werke der Ausstellung.

Flucht – Gemälde von Bernd Demmig – ca. 70 x50 cm (c) Bernd Demmig.

Das Bild „Flucht“ von Bernd Demmig zeigt Jesus Christus am Kreuz vor einer zum Teil brennenden, zum Teil von Leichenteilen und Dämonen bevölkerten Landschaft. Im Vordergrund links neben dem Kreuz stehen zwei in schwarze Mäntel gehüllte Personen, die wegen der Lanze in der Hand des einen als römische Soldaten gedeutet werden können. Rechts steht leicht abgewandt eine nackte Frau (Maria Magdalena). Der Titel des Bildes ist im Bild als Schild am Kreuz dargestellt.
Bernd Demmig hat Jesus Christus in diesem Bild nicht nur als Typus des Gekreuzigten in Szene gesetzt, sondern ihn auch in der Rolle eines Geflüchteten dargestellt, der im Verlauf seiner Flucht gefangen genommen und zum Tode verurteilt wurde. Das im Jahr 2016 entstandene Bild ist ein Kommentar und eine Mahnung über menschenwürdigen und menschenfreundlichen Umgang mit geflüchteten Menschen.
Mit meiner Tochter habe ich viele Male vor diesem Bild gestanden und versucht ihre vielen Fragen und ihre Durst nach Geschichten zu beantworten. Wir haben über die Person und das Leben Jesu Christi gesprochen, über Nägel, Verletzungen und Blut, über das Töten und die Frage nach dem Warum und auch sehr viel über Liebe und Trauer. Im Gespräch mit einer Zweijährigen ist es zugegeben nicht immer leicht, für diese Themen verständliche Worte zu finden, ihr Interesse daran war aber gewaltig und sie hat sie sich im Verlauf der wiederholten Bildbetrachtung, Bildbeschreibung und Erzählung auf ihre Weise erschlossen.
Die besonders anschauliche Qualität des Bildes hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Bis heute spricht meine Tochter aus der Erinnerung darüber, wenn wir zum Beispiel in einer Kirche sind und dort eine Darstellung des Gekreuzigten sehen.

Wer mehr über den Künstler Bernd Demmig erfahren möchte findet hier einen Artikel, welcher auch eine Fotografie des besprochenen Bildes in seiner Entstehung beinhaltet. Darüber hinaus ist der Eichhörnchenverlag gern bereit, einen persönlichen Kontakt herzustellen.

Beitragsautorin: Nina A. Schuchardt