Textile Kunst und Impressionen von der Textile Art Berlin

Textile Kunst und Impressionen von der Textile Art Berlin

von Katharina Schulze

Der Blogbeitrag vom 28.04.2017 machte bereits sehr deutlich, dass Textilien und textile Kunst uns im Alltag ständig und auf vielfältigste Weise begegnen. Man denke nur an den Trend des Guerilla-Knittings, der gerade in Großstädten um sich greift und bei dem Gegenstände wie Bänke oder Fahrradständer, manchmal auch ganze Gebäude umhäkelt oder umstrickt werden. Bei Kindern finden sich neben Stoffbüchern auch Stofftiere- und Puppen und auch die Kleidung, die jeder von uns trägt, gehört dazu, auch wenn diese sicher nicht immer als Kunst angesehen wird.
In Europa war die textile Kunst besonders auf Kleidung ausgerichtet und wurde so, im Vergleich zur bildenden Kunst, oft nicht direkt als eigenständige Kunstform wahrgenommen. Auch war sie meist mit praktischen Aspekten verbunden und wurde in der Folge auch eher dem Handwerk als tatsächlich der Kunst zugerechnet. Das führte dazu, dass Textilkunst aus der Hochkultur herausfiel und getrennt von den bildenden Künsten nicht im kulturhistorischen Kanon betrachtet wurde und somit auch weniger Anerkennung fand.

Silk Velvet Textile, Detail eines Bildes aus Seiden- und Samtstoff, unbekannter Künstler, 17. Jahrhundert, The Museum of Islamic Art, Qatar.

Zu diesem Bild trug auch die enge Verknüpfung von textilen Arbeiten wie nähen, sticken, häkeln mit dem weiblichen Lebensbereich bei, der wiederum nicht so hoch geschätzt wurde, wie die männliche Sphäre. Sie wurden oftmals als Hausarbeit angesehen und ihnen kein Raum für Kreativität und keine Bedeutung zugestanden. Über die Herabsetzung der von Frauen ausgeführten kunsthandwerklichen Techniken wurde ihnen auch der Zutritt in die hochkulturelle Kunst wie der Malerei oder der Dichtung verwehrt.
In Ländern Afrikas, vor allem Westafrika ist textile Kunst hingegen sehr stark männlich geprägt und hierarchisiert. Ein Beispiel hierfür sind die ghanaischen Kente-Tücher, die traditionell nur von Männern hergestellt wurden. Generell ist Textilkunst viel angesehener als in Europa und sehr prestigeträchtig. Wie wichtig Textilien sein können zeigt sich auch in einer Tradition aus Nigeria, bei dem ein Stück Stoff aus der Kleidung eines Verstorbenen aufbewahrt wird, da sich in der Kleidung eine Teil der Person manifestiert hat. Wie textile Kunst bewertet wird hängt also stark von dem kulturellen Umfeld ab, in welchem sie geschaffen wird.

Der Aspekt der Nutzbarkeit im Alltag tritt in der zeitgenössischen Textilkunst vermehrt in den Hintergrund, Farben und Formen sind entscheidend und rücken sie der Bildhauerei näher.
Die Frage, warum gerade textile Ausgangsstoffe für diese Kunstwerke benutzt werden, lässt sich sehr unterschiedlich beantworten. Gerade bei kleineren Werken kommt zur Ebene des Sehens die des Fühlens hinzu, welches der bildlichen Kunst oft verborgen bleibt. So sind die Werke noch einmal ganz anders erfahrbar, manchmal realer und so vor allem für Kinder spannend.
Zudem geht es um Stoffe und Gewebe, um Gewebe als Urbild des Sozialen. Über die Strukturen der Textilien kommt es zu einer Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und darüber, was diese zusammenhält. Neue Entwicklungen und Veränderungen werden so verarbeitet und können Orientierung bieten. Es gibt auch die Ansicht, dass textile Kunst derzeit in vielen Museen und im privaten Rahmen mit Handarbeiten wie sticken, häkeln und Co. solch einen Aufschwung genießt, weil der Alltag vieler Menschen durch die Medialisierung unsinnlicher wird. Über die direkte Arbeit mit den Händen wird dem ein Ausgleich geschaffen. Bereits zwischen 1870 und ca. 1920 gab es mit der Arts and Craft-Bewegung einen künstlerischen Ansatz, der auf die Industrialisierung reagierte und eine Rückbesinnung auf das Handwerk anstrebte. Kunst und Funktion sollten miteinander verbunden sein und so zu einer schöpferischen Anerkennung der Handwerkskunst führen.

Über die Arbeit mit Textilien können aber auch ganz persönliche Erfahrungen bearbeitet werden, wie es die erst relativ spät berühmt gewordene Louis Bourgeois mit ihren Puppen „Seven“ tat. Diese aus weichem Material gefertigten Puppen, die sich nackt gegenseitig Halt geben stehen im Kontrast zur Härte des Thematik, die sie darin beschreibt. Immer wieder hat sie sich mit dem schweren Verhältnis zu ihrem Vater auseinandergesetzt, welches aus dem patriarchalen Verhalten des Vaters erwuchs. Ebenso hat sie in ihren Werken aber auch immer wieder die Liebe zu ihrer Mutter verarbeitet.

Die Künstlerin Marie-Christine Chammas, deren Werke auch auf der Textile Art Berlin 2017 zu sehen waren, verarbeitet ebenfalls Kindheitserinnerungen. Sie stickt Sprichwörter, die sie selbst als Kind immer sehr beeindruckt haben, auf und fügt deren, sonst meist mündlich überlieferter, Bedeutung eine weitere Komponente hinzu.

Zum Abschluss hier noch drei Impressionen von der Textile Art Berlin 2017. Der Augenmerk lag stark auf zweidimensionalen Darstellungen aus verschiedenen Stoffen, Gemälden ähnlich. Außerdem gab es viel zur Quilttechnik zu bewundern. Figuren waren seltener, neben den lebensgroßen Häkelköpfen unter anderem die „Mutter Meer“ von Eva Lippert, die ich auch für euch festgehalten habe. Der große Textilmarkt, der ebenfalls in den Hallen stattfand, bot zudem die Möglichkeit sich selbst näher mit Stoffen verschiedenster Materialien zu beschäftigen und auch selbst kreativ zu werden.

Literatur:
Briegleb, Till: Textile Kunst. Der rote Faden in der Hochkunst, unter: https://www.goethe.de/de/kul/bku/20384233.html (letzter Aufruf 29.06.2017)

Herstett, Claudia: Textilkunst. Strich und Faden, unter:
http://www.zeit.de/kultur/kunst/2011-02/kunst-textilien-stoffe (letzter Aufruf 29.06.2017)

Pinther, Kerstin; Schankweiler, Kerstin: Verwobene Fäden. Textile Referenzen in der zeitgenössischen Kunst Afrikas und der Diaspora, In: FKW. Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, Heft 52 Dezember 2011, S. 72-87, unter:
http://www.fkw-journal.de/index.php/fkw/article/viewFile/1225/1222 (letzter Aufruf 29.06.2017)

Schulze, Karin: Trend zur Textilkunst. Jetzt spinnen sie alle, unter: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/kunst-textil-ausstellungen-in-wolfsburg-paris-bielefeld-leipzig-a-927683.html (letzter Aufruf 29.06.2017)

http://www.kunstmuseum-wolfsburg.de/ausstellungen/kunst-and-textil-stoff-als-material-und-idee-in-der-moderne-von-klimt-bis-heute/ (letzter Aufruf 29.06.2017)

http://www.textile-forum-blog.org/de/2014/06/textile-art/ (letzter Aufruf 29.06.2017)