Lieblingskinderbücher Nr. 5 – The Wind in the Willows – Begegnung mit Pan

Lieblingskinderbücher Nr. 5 – The Wind in the Willows – Begegnung mit Pan

Vor gut einem Jahr empfahl mir ein Zauberer aus dem Saal der Wunder The Wind in the Willows* (Der Wind in den Weiden) von Kenneth Grahame als eines seiner liebsten Kinderbücher.

Ich kannte diesen Kinderbuchklassiker noch nicht, jetzt aber habe ich ihn gelesen und dabei viel Freude gehabt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Erzählung in Kapitel 7 The Piper at the Gates of Dawn (Der Pfeifer am Tor der Dämmerung). Geschildert wird eine Begegnung der beiden Hauptcharaktere Rat (Ratte, Wasserratte) und Mole (Maulwurf) mit dem aus der griechischen Mythologie entliehenen Gott Pan (hier geht’s zum Wikipediaartikel). Angelockt vom lieblichen Flötenspiel des Pan treffen Rat und Mole in einem trance- oder traumartigen Zustand auf den Gott. Zu seinen Füßen schlafend finden sie ein, schon seit mehreren Tagen vermisstes und von den Freunden gesuchtes, Otterkind wieder. Die Begegnung erfüllt die Tiere mit widersprüchlichen Gefühlen. Einerseits fühlen sie sich geborgen und sicher, angefüllt von Wohlgefühl und Freude, andererseits packt sie panische** Angst.

Die Beschreibung des Pan in The Wind in the Willows, wie auch des Eindrucks, den er auf die Tiere macht, ist bemerkenswert. Sie verzichtet vollständig auf die sexuelle und erotisch-liebesbezogene Konnotation, die Darstellungen des Pan in der Regel mit sich bringen und inszeniert ihn ausschließlich als Waldgott mit Hirtencharakter und Schutzfunktion. Dem Gott werden mit diesem Kniff einige seiner Bedeutungsebenen und sicherlich auch Teile seiner Geschichten genommen, ich habe es aber gerade deshalb als eine sehr angenehme und auch erhellende Betrachtung der Figur empfunden, weil sie sich auf die sonst wenig beachtete Perspektive des tierischen Lebens bezieht und eher seinen Waldgeistcharakter herausstreicht. Dem Buch gelingt es hier – wie auch an einigen anderen Stellen – sehr schön den Eindruck zu erwecken, mit den Augen der kleinen Tiere stellvertretend für Kinderaugen in die Welt zu blicken und dadurch tatsächlich neue Einblicke und Perspektivwechsel bei den Leser*innen zu ermöglichen.

Beeindruckend ist auch die eindrückliche und wiederkehrende Beschreibung der Ambivalenz der Gefühle und Gedanken von Rat und Mole. Lust und Schmerz, Erregung, Ekstase und Angst liegen so dicht beieinander. Diese Erfahrung ist eine, die sicher die meisten Menschen teilen – auch Kinder. Sie ist zum Beispiel bei jeder neuen Grenze die ausgetestet, ausprobiert wird mit dabei.

Die vielen Ambivalenzen und Bedeutungsebenen, die sich bei der Betrachtung des Gottes Pan ergeben, finden sich in der (mythologischen) Landschaft Arkadien gespiegelt, die ihm als Lebensraum dient. Wer darüber mehr lesen möchte, kann hier nachschauen, wo ich einige Aspekte dieser Landschaft in Bezug auf die gärtnerischen Ambitionen Friedrichs des Großen beleuchtet habe.

Meine bisher liebste Darstellung des Pan in der (bildenden) Kunst ist übrigens die Skulptur Pan tröstet Psyche von Reinhold Begas (Pentelischer Marmor, um 1860) die sich in der Nationalgalerie in Berlin befindet. Auch hier wird Pan weniger wild und sexuell gezeigt (wenngleich diese Aspekte nicht ganz aus dem Bild ausgeschlossen sind), sondern eher als fürsorglich, Schutz und Trost spendend dargestellt und interpretiert. Klare Besuchsempfehlung!

Pan tröstet Psyche. Reinhold Begas, um 1860, Alte Nationalgalerie Berlin.

 

* Grahame, Kenneth: The Wind in the Willows. Wordsworth Editions Limited, Ware 1993.

** Der mit dem Adjektiv panisch beschriebene undeutbare oder irrationale Schrecken wird etymologisch tatsächlich auf die Göttergestalt Pan zurückgeführt. Mehr dazu auf der Duden-Homepage.

Neulich begegnete mir auf Twitter ein Bild der Leda mit dem Schwan in einer Version des irischen Künstlers Dr. Robert Bohan. Die Bildsprache dieses Künstlers lebt von kräftig-leuchtenden Farbflächen, schematischer Reduktion der Figuren und zweidimensional-grafischer Ästhetik. Robert Bohan hat seinen Doktortitel in den Naturwissenschaften erworben und seine Interessenschwerpunkte wohl im Bereich der Botanik gefunden – dies scheint seinen Bildern anzusehen. Immer wieder schwanken seine Arbeiten zwischen naturwissenschaftlicher Akkuratesse und traumdeuterischer Seelenerkundung.
Leda mit dem Schwan ist ein bekanntes und oft gesehenes Motiv in der Kunstgeschichte und geht auf einen griechischen Mythos zurück. Auch ich zähle zwei Versionen dieses Motivs zu meinen Lieblingsbildern bzw. unter jene Bilder, die mir besonders im Gedächtnis haften geblieben sind. Es handelt sich dabei um ein Gemälde von Giampietrino nach Entwürfen von Leonardo da Vinci und ein Gemälde von Antonio Allegri (genannt Il Correggio). Dazu später mehr.
Die Leda mit dem Schwan von Robert Bohan ist ganz in blau gehalten und strahlt eine große Ruhe und liebevolle Zuwendung aus. Sie führte mir den Facettenreichtum des Motivs und den großen interpretatorischen Spielraum vor Augen, den ein Künstler bei der Behandlung dieses Themas hat. Robert Bohan zeigt Leda und Zeus in Gestalt des Schwanes als Liebespaar innig verschmolzen, zugewandt, zärtlich ohne dabei aber eigentlich geschlechtlich oder sexuell zu erscheinen.
Ganz anders die Darstellung Correggios, die heute in der Gemäldegalerie in Berlin bewundert werden kann. Diese Version ist (wie die allermeisten Versionen des Motives, die ich kenne) hoch erotisch. Leda und Schwan sind hier zwischen einer Gruppe Badender, Schwäne, dem musizierenden Eros und zwei Putten während des Geschlechtsaktes dargestellt. Das Bild war ursprünglich Teil eines Zyklus, der die erotischen Abenteuer Zeus zum Inhalt hatte und um 1530 von Federico II. Gonzaga, dem Herzog von Mantua in Auftrag gegeben worden war. Die Darstellung ist explizit und lässt keinen Spielraum für Interpretationen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert wurde sie deshalb einmal zerstört. Damals befand sich das Bild im Besitz des Herzogs Philippe von Orléans, dessen Sohn es in einem „Anfall religiösen Wahns“ zerschnitt.

Leda mit dem Schwan. Antonio Allegri (Il Correggio), um 1531/32. Gemäldegalerie Berlin.

Andere bekannte Darstellungen der Leda mit dem Schwan gehen auf (inzwischen verlorene) Vorbilder von Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci zurück. Zu diesen gehört auch das Bild von Giampietrino. Es ist wiederum ganz anders geartet als die beiden zuvor besprochenen Kunstwerke. Hier ist Zeus in Gestalt des Schwans gar nicht mehr dargestellt. Stattdessen lädt die Figur der Leda mit ihrem dem Betrachter zugewandten Blick und der offenen auf zwei Kinder weisenden Hand ein, den Nachwuchs aus der Begegnung mit dem Gott zu bestaunen. Insgesammt sind es, wie im Mythos beschrieben, vier Kinder, die aus Eiern geschlüpft sind. Die Schalen liegen noch auf dem Boden verteilt.

Leda mit ihren Kindern. Giampietrino, um 1508-1513. Gemäldegalerie Alte Meister Kassel.

Ich persönlich mag dieses Bild, wie auch andere Darstellungen nach Leonardos Entwürfen, die neben Leda und den Kindern auch noch den Schwan beinhalten, sehr. Mir gefällt die unaufgeregte und friedvolle Zuneigung zwischen der Mutter und ihren Kindern. Mehr noch fasziniert mich aber die Überschreitung und Durchbrechung von Denkmustern und Sehgewohnheiten, welche die aus den Eiern schlüpfenden Kinder bedeuten. Dieses Detail ist ein Kuriosum, das – obwohl im Mythos beschrieben – nicht allzu oft dargestellt wird. Außerdem ist es noch etwas komplexer, denn Leda schlief in der fraglichen Nacht auch noch mit ihrem Gatten, dem König Tyndareos. Welche der vier entstandenen Kinder die Nachkommen Zeus sind und welche von Tyndareos stammen sowie ob sie nun alle aus Eiern geschlüpft oder eines geboren wurde, wird unterschiedlich angegeben. Eine zweifelsohne spannende Konstellation.

 

Literaturhinweise:

Michaelis, Rainer [Redaktion]: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Berlin 2010, bes. S. 374, 375.

Zöllner, Frank; Nathan, Johannes: Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen. Köln 2007, bes. S. 184-191.